BGH 5 StR 395/01

StGB §§ 2, 78a; AO § 370; VStG

1. Hinterziehung von Vermögensteuer für Besteuerungszeiträume

bis zum 31. Dezember 1996 bleibt strafbar.

2. Bei Veranlagungssteuern beginnt die Verfolgungsverjährung

einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen

erst, wenn das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten

für den maßgeblichen Zeitraum allgemein abgeschlossen

hat.

BGH, Beschluß v. 7. November 2001 – 5 StR 395/01

LG Mühlhausen

5 StR 395/01

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

vom 7. November 2001

in der Strafsache

gegen

wegen Steuerhinterziehung

– 2 –

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. November 2001

beschlossen:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts

Mühlhausen vom 3. Mai 2001 wird gemäß § 349

Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

G r ü n d e

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in

sieben Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt. Mit seiner auf die Verurteilung

wegen Hinterziehung von Vermögensteuer in zwei Fällen beschränkten

Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.

Er macht die Straflosigkeit der abgeurteilten Vermögensteuerhinterziehungen

geltend. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

Nach den Feststellungen besaß der Angeklagte zum 1. Januar 1993

Vermögenswerte von mehr als 1,7 Millionen DM und zum 1. Januar 1995

von mehr als 2,2 Millionen DM. Obwohl er wußte, daß er – bezogen auf diese

Zeitpunkte – beim Finanzamt Vermögensteuererklärungen abzugeben

hatte, kam er dieser Pflicht nicht nach, um Vermögensteuern nicht bezahlen

zu müssen.

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat

keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Zu erörtern ist

folgendes:

– 3 –

I.

Die Hinterziehung von Vermögensteuer, die bis zum 31. Dezember

1996 entstanden ist, bleibt auch weiterhin strafbar:

1. Das Vermögensteuergesetz vom 17. April 1974 (BGBl I S. 949) in

der Fassung der Bekanntmachung vom 14. November 1990 (BGBl I S. 2467)

(VStG) ist auf alle bis zum 31. Dezember 1996 verwirklichten Sachverhalte

anzuwenden.

Dem steht nicht entgegen, daß das Bundesverfassungsgericht mit

Beschluß vom 22. Juni 1995 (BVerfGE 93, 121) das Vermögensteuergesetz

partiell für mit der Verfassung unvereinbar erklärt hat. Werden Normen für

mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt, hat dies zwar grundsätzlich zur

Folge, daß die Normen nicht mehr angewandt werden dürfen (vgl. BVerfGE

92, 53, 73). Die Rechtsfolgen einer Unvereinbarkeitserklärung können aber

zu einem Zustand führen, der von der verfassungsmäßigen Ordnung noch

weiter entfernt ist als der bisherige (BVerfGE aaO); dies veranlaßt das Bundesverfassungsgericht

vielfach, die Unvereinbarkeitserklärung mit der Anordnung

einer befristeten weiteren Anwendbarkeit der verfassungswidrigen

Norm zu verbinden, wobei die Frist danach bestimmt wird, wann vom Gesetzgeber

die Schaffung eines verfassungsmäßigen Zustandes erwartet

werden kann. Hier hat das Bundesverfassungsgericht die Erklärung über die

Unvereinbarkeit des § 10 Nr. 1 VStG mit dem Grundgesetz mit der Anordnung

verbunden, daß das bisherige Vermögensteuerrecht auf alle bis Ende

1996 verwirklichten Sachverhalte weiter anwendbar bleibt. Würde nämlich

das Vermögensteuergesetz ab dem Entscheidungszeitpunkt des Bundesverfassungsgerichts

nicht mehr angewendet werden können, hinge die endgültige

steuerliche Belastung vom jeweiligen zufälligen Verfahrensstand zum

Zeitpunkt des Ergehens der verfassungsgerichtlichen Entscheidung ab (vgl.

BFH NJW 1997, 2007, 2008). Der Tenor der Entscheidung des Bundesver-

4 –

fassungsgerichts, der nach § 31 Abs. 2 BVerfGG Gesetzeskraft hat (BGBl I

1995, S. 1191), lautet:

1. § 10 Nummer 1 des Vermögensteuergesetzes vom

17. April 1974 (BGBl I S. 949) in der Fassung der Bekanntmachung

vom 14. November 1990 (BGBl I

S. 2467), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. September

1994 (BGBl I S. 2325), ist jedenfalls seit dem

Veranlagungszeitraum 1983 in allen seinen seitherigen

Fassungen mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes insofern

unvereinbar, als er den einheitswertgebundenen

Grundbesitz, dessen Bewertung der Wertentwicklung

seit 1964/74 nicht mehr angepaßt worden ist, und das

zu Gegenwartswerten erfaßte Vermögen mit demselben

Steuersatz belastet.

2. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine Neuregelung

spätestens bis zum 31. Dezember 1996 zu treffen.

Längstens bis zu diesem Zeitpunkt ist das bisherige

Recht weiterhin anwendbar…

Damit wirkt sich die Unvereinbarkeitserklärung nicht ex tunc, sondern

nur für die Zukunft aus. Die mit einer Unvereinbarkeitserklärung grundsätzlich

verbundene Anwendungssperre entfällt (vgl. BFH BStBl II 2000, 378,

379). Dabei bewirkt die vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich angeordnete

Weitergeltung des Vermögensteuergesetzes, daß die Vermögensteuer

für die Veranlagungszeiträume vor 1997 auch weiterhin zu erheben

ist (vgl. BFH NJW 1997, 2007; 1998, 3592; BVerfG – 3. Kammer des Ersten

Senats – NJW 1998, 1854) und die Steuerpflichtigen infolgedessen entsprechende

Vermögensteuererklärungen abzugeben haben.

2. Aufgrund der ausdrücklich angeordneten Weitergeltung des Vermögensteuergesetzes

ist auch eine Hinterziehung von Vermögensteuer

weiterhin möglich; sie bleibt strafbar.

Dies steht in Einklang mit der überwiegenden Rechtsprechung (vgl.

OLG Frankfurt wistra 2000, 154; OLG Hamburg wistra 2001, 112; LG Itzehoe

wistra 2001, 31; im Hinblick auf die Festsetzung von Hinterziehungszin-

5 –

sen: BFH BStBl II 2000, 378; FG Baden-Württemberg EFG 2000, 297; FG

Bremen wistra 1999, 199; FG Nürnberg EFG 2000, 602; zu § 169 Abs. 2

Satz 2 AO: FG Düsseldorf EFG 2000, 906; FG Münster NJW 2000, 1136;

a. A. LG München II wistra 2000, 74; Niedersächsisches FG DStRE 2000,

940 und EFG 2000, 1227). In der Literatur ist die Frage umstritten (vgl. nur –

bejahend – Brandenstein NJW 2000, 2326; Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht

5. Aufl. § 370 AO Rdn. 233b; Meine DStR 1999, 2101; Rolletschke

DStZ 2000, 211; Schmidt wistra 1999, 121; Wulf wistra 2001, 41; – verneinend

– Bornheim StuW 1998, 146; PStR 2000, 75; Degenhard DStR 2001,

1370; Kohlmann/Hilgers-Klautzsch wistra 1998, 161; Plewka/Heerspink BB

1999, 2429; Salditt StraFo 1997, 65; Ulsamer/Müller wistra 1998, 1; Urban

DStR 1998, 1995).

a) Der Strafbarkeit der Vermögensteuerhinterziehung steht der Beschluß

des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juni 1995 (BVerfGE 93,

121) nicht entgegen. Die Vorschriften des Vermögensteuergesetzes bleiben

bezüglich aller bis Ende 1996 verwirklichten Sachverhalte geeignet, die

Blankettvorschrift des § 370 AO auszufüllen und zusammen mit dieser einen

Straftatbestand der Steuerhinterziehung zu bilden, gegen den nach wie vor

verstoßen werden kann.

aa) Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom

22. Juni 1995, mit der die Tarifnorm des § 10 Nr. 1 VStG für mit dem Grundgesetz

unvereinbar erklärt worden ist, angeordnet, daß die gesetzlichen Regelungen

der Vermögensbesteuerung befristet bis zum 31. Dezember 1996

weitergelten sollen. Dieser umfassenden Weitergeltungsanordnung des

Bundesverfassungsgerichts kommt gemäß § 31 Abs. 2 BVerfGG Gesetzeskraft

zu. Damit ist das Vermögensteuergesetz für die Besteuerungszeiträume

bis zu diesem Stichtag auch als Ausfüllungsnorm des Blankettatbestandes

des § 370 AO weiter heranzuziehen. Die befristete weitere Anwendbarkeit

des bisherigen Vermögensteuerrechts schafft kein Recht minderer Qua-

6 –

lität, das vom Normadressaten ohne das Risiko, mit einer der vorgesehenen

Sanktionen überzogen zu werden, ignoriert werden kann (BFH BStBl II

2000, 378, 379; Schmidt wistra 1999, 121, 125).

bb) Es ergibt sich auch nichts anderes daraus, daß das Bundesverfassungsgericht

die Weitergeltungsanordnung nicht ausdrücklich auf das

Strafrecht ausgedehnt hat (so: Bornheim PStR 2000, 75, 76). Denn nach der

Entscheidungsformel des Beschlusses vom 22. Juni 1995 (BVerfGE 93, 121)

war bis zum 31. Dezember 1996 “das bisherige Recht weiterhin anwendbar”.

Eine Beschränkung in dem Sinne, daß nur noch Steuerfestsetzungen erfolgen

dürften, eine Strafbarkeit wegen Vermögensteuerhinterziehung hingegen

ausgeschlossen sein solle, ist dem nicht zu entnehmen, sie war ersichtlich

auch nicht gewollt. Ohne eine Strafbewehrung der Normen des Vermögensteuergesetzes

würde die Steuerbelastung im wesentlichen auf der Erklärungsbereitschaft

der Steuerpflichtigen beruhen. Dies würde im Widerspruch

dazu stehen, daß das Bundesverfassungsgericht aus dem Verfassungsgebot

der Belastungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) für Steuern, deren

Festsetzung auf Steuererklärungen beruht, die Notwendigkeit abgeleitet hat,

die Steuerpflichtigen nicht nur durch ein Steuergesetz rechtlich gleichmäßig

zu belasten, sondern auch einen gleichmäßigen Verwaltungsvollzug durch

gesetzgeberische Maßnahmen abzustützen (vgl. BVerfGE 84, 239; vgl. auch

BFH BStBl II 2000, 378, 380). Eine solche Beschränkung würde darüber

hinaus auch dem Sinn und Zweck der verfassungsgerichtlichen Weitergeltungsanordnung

widersprechen, wonach “die Erfordernisse verläßlicher Finanz-

und Haushaltsplanung und eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzugs

für Zeiträume einer weitgehend schon abgeschlossenen Veranlagung” es

rechtfertigen, die “Regelungen zur Vermögensbesteuerung für zurückliegende

Kalenderjahre wie bisher weiter anzuwenden” (BVerfGE 93, 121, 148). Es

würde dann an jeglicher Absicherung des Gesetzesvollzugs fehlen, so daß

eine sofortige Anwendungssperre eine neue Ungleichheit bewirken würde,

– 7 –

der nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts im Vergleich zur bestehenden

Gleichheitswidrigkeit das größere Gewicht zukäme.

cc) § 370 AO ist auch nicht – wie teilweise vertreten wird (vgl. Kohlmann,

Steuerstrafrecht 7. Aufl. § 370 AO Rdn. 68.2; Salditt StraFo 1997, 65,

68) – restriktiv dahin auszulegen, daß – ungeachtet einer verfassungsgerichtlichen

Weitergeltungsanordnung – nur materiell mit der Verfassung in

Einklang stehende Steuernormen Anknüpfungspunkt für eine Strafbarkeit

sein können. Ebensowenig kommt es für die Strafbarkeit darauf an, wie hoch

die Verkürzungsbetr.ge bei verfassungsgemäßen Besteuerungsvorschriften

gewesen wären. Formell ordnungsgemäß zustande gekommene Gesetze

sind nach der Verfassung so lange und so weit für Bürger, Behörden und

Gerichte uneingeschränkt verbindlich, als sie nicht vom Bundesverfassungsgericht

aufgrund seines Kassationsmonopols (Art. 100 Abs. 1 GG)

aufgehoben worden sind. Soweit das Bundesverfassungsgericht für eine als

materiell verfassungswidrig erkannte Norm eine befristete Weitergeltung

anordnet, hat es diese Vorschrift gerade nicht aufgehoben; das mit der Zuwiderhandlung

gegen diese Norm verbundene objektive Unwerturteil bleibt

bestehen (so auch BFH BStBl II 2000, 378, 380).

dd) Die Vorschrift des § 79 Abs. 1 BVerfGG, nach der gegen ein

rechtskräftiges Urteil, das auf einer mit dem Grundgesetz für unvereinbar

erklärten Norm beruht, die Wiederaufnahme des Verfahrens zulässig ist,

steht dieser Beurteilung nicht entgegen (a.A. LG München II wistra 2000,

74). Diese einfachgesetzliche Vorschrift wird von der vom Bundesverfassungsgericht

ausgesprochenen und nach § 31 Abs. 2 BVerfGG ebenfalls mit

Gesetzeskraft ausgestatteten Weitergeltungsanordnung als neuerer und

speziellerer gesetzlicher Vorschrift gleichen Ranges verdrängt (so auch BFH

BStBl II 2000, 378, 380; vgl. auch OLG Frankfurt wistra 2000, 154; LG Itzehoe

wistra 2001, 31, 32; Brandenstein NJW 2000, 2326), ohne daß es insoweit

auf die vom Bundesverfassungsgericht angeführte Begründung für die

– 8 –

Weitergeltungsanordnung ankommt. Entscheidend ist allein, daß danach die

gesetzlichen Regelungen der Vermögensbesteuerung befristet bis zum 31.

Dezember 1996 ohne Einschränkung weitergelten sollen. Die in § 79 Abs. 1

BVerfGG vorausgesetzte Rechtslage, daß auch eine lediglich mit dem

Grundgesetz unvereinbare Norm nicht mehr angewandt werden darf, ist in

Fällen der vom Bundesverfassungsgericht mit Gesetzeskraft ausgesprochenen

Weitergeltung der Norm nicht gegeben.

b) Die Strafbarkeit der Hinterziehung von Vermögensteuer ist schließlich

auch nicht gemäß § 2 Abs. 3 StGB mit Ablauf des 31. Dezember 1996

entfallen.

Zwar hat der Gesetzgeber von der Möglichkeit einer den Anforderungen

des Art. 3 Abs. 1 GG genügenden Neuregelung des Vermögensteuergesetzes

innerhalb der vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Frist keinen

Gebrauch gemacht. Im Verstreichenlassen dieser Frist durch den Gesetzgeber

liegt indes keine Aufhebung eines Gesetzes im Sinne von § 2

Abs. 3 StGB mit der Folge, daß eine Strafbarkeit wegen Vermögensteuerhinterziehung

auch für die Vergangenheit nicht mehr in Betracht kommen

würde.

Nach § 2 Abs. 3 StGB ist das mildeste Gesetz anzuwenden, wenn das

bei Beendigung der Tat geltende Gesetz vor der Entscheidung geändert

worden ist. Als milderer Rechtszustand kommt auch der ersatzlose Wegfall

eines Gesetzes in Betracht, dem wiederum der Wegfall der Anwendung eines

formal fortbestehenden Gesetzes gleichkommt (so auch BFH BStBl II

2000, 378, 380; Ulsamer/Müller wistra 1998, 1, 4). Nach der Rechtsprechung

des Bundesgerichtshofs gilt dabei auch die Änderung der Ausfüllungsnormen

von Blankettgesetzen – wie § 370 AO – als Rechtsänderung im

Sinne von § 2 Abs. 3 StGB (BGHSt 20, 177).

– 9 –

§ 2 Abs. 3 StGB greift hier allerdings deswegen nicht ein, weil das

Vermögensteuergesetz hinsichtlich der Veranlagungszeiträume vor 1997

weiter anzuwenden ist (vgl. BFH BStBl II 2000, 378; Meine DStR 1999,

2101; Schmidt wistra 1999, 121). Anders als es § 2 Abs. 3 StGB voraussetzt,

gelten die blankettausfüllenden Normen bezogen auf die maßgeblichen Besteuerungszeiträume

wie Zeitgesetze (§ 2 Abs. 4 StGB) fort. Die Fortgeltungsanordnung

des Bundesverfassungsgerichts hat für den früheren

Rechtszustand dieselbe Wirkung wie Gesetzesänderungen, die der Steuergesetzgeber

mit einer Überleitungsregelung verbindet, wonach der neue

Rechtszustand erst auf Zeiträume oder Stichtage ab einem bestimmten Datum

anzuwenden ist. Daraus folgt, daß für frühere Zeiträume oder Stichtage

das bisherige Recht fortgilt (so auch BFH aaO). Für die Strafnorm des § 370

AO hat die Befristung der Weitergeltungsanordnung lediglich die Wirkung,

daß für nach Fristablauf gelegene Veranlagungszeiträume keine weiteren

Steueransprüche mehr entstehen können, die wiederum Anknüpfungspunkte

für neue Hinterziehungshandlungen sein können. Die Hinterziehung vor

Fristablauf entstandener Steuern ist hingegen weiterhin mit Strafe bedroht,

weil die Strafnorm des § 370 AO nicht geändert wurde und die in § 370 AO

geschilderten Begehungsvarianten für eine Steuerhinterziehung unverändert

fortbestehen.

II.

Die Taten des Angeklagten sind nicht verjährt. Zurecht ist das Landgericht

davon ausgegangen, daß auch die Verjährung der Steuerhinterziehung,

die der Angeklagte durch Nichtabgabe einer Vermögensteuererklärung

für den Hauptveranlagungszeitpunkt 1. Januar 1993 begangen hat,

rechtzeitig unterbrochen worden ist.

1. Nach § 78a Satz 1 StGB beginnt die Verjährung mit der Beendigung

der Tat.

– 10 –

a) Die Frage, wann bei Veranlagungssteuern eine Steuerhinterziehung

durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) beendet ist, wird in Rechtsprechung

und Literatur unterschiedlich beantwortet.

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist

bei Veranlagungssteuern eine Tat im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO erst

dann vollendet, wenn das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten

in dem betreffenden Bezirk für den maßgeblichen Zeitraum allgemein abgeschlossen

hat. Entscheidend sei für die Frage der Vollendung nämlich der

Zeitpunkt, zu dem bei ordnungsgemäßer Abgabe auch der unterlassende

Täter spätestens veranlagt worden wäre. Erst dann sei die rechtzeitige Festsetzung

der Steuer vereitelt und der Verkürzungserfolg eingetreten. Bis zu

diesem Zeitpunkt liege nur versuchte Steuerhinterziehung vor (vgl. BGHSt

30, 122, 123; 36, 105, 111; 37, 340, 344; BGH wistra 1999, 385). Auch die

Beendigung der Unterlassungstat sei damit erst mit Abschluß der allgemeinen

Veranlagungsarbeiten des Finanzamtes gegeben (vgl. BGHR AO § 370

Verjährung 3; so auch Jähnke in LK 11. Aufl. § 78a Rdn. 6, 9; Kohlmann,

Steuerstrafrecht 7. Aufl. § 376 AO Rdn. 40, 43; G. Schäfer in Festschrift für

Hanns Dünnebier, 1982, S. 541, 543).

bb) Demgegenüber wird auch die Auffassung vertreten, der Grundsatz

“in dubio pro reo” gebiete, daß zugunsten des säumigen Steuerpflichtigen

ein erheblich früherer Tatbeendigungszeitpunkt anzunehmen sei (vgl.

OLG Hamm, Beschluß vom 2. August 2001 – 2 Ws 156/01 –; Franzen/Gast/

Joecks, Steuerstrafrecht 5. Aufl. § 376 AO Rdn. 28; Gast-de Haan in Klein,

AO 7. Aufl. § 376 Rdn. 19; Joecks, Praxis des Steuerstrafrechts 1998 S. 55;

Schmitz wistra 1993, 248; Simon/Vogelberg, Steuerstrafrecht 2000 S. 92 f.,

111 f.). Die Annahme des denkbar spätesten Vollendungszeitpunkts sei für

einen Angeklagten nur insoweit günstig, als es um die Frage der Erfüllung

des Tatbestandes gehe, nicht aber, soweit für die Frage der Verjährung die

– 11 –

Tatbeendigung an den Zeitpunkt der Tatvollendung geknüpft werde. Bei der

Verjährung müsse vielmehr zugunsten des Angeklagten darauf abgestellt

werden, wann bei einer hypothetischen Veranlagung nach einer rechtzeitigen

Abgabe der Steuererklärung frühestens eine Veranlagung erfolgt wäre.

Wann dieser Zeitpunkt vorliegt, wird allerdings von den Vertretern

dieser Ansicht unterschiedlich beantwortet (vgl. Joecks aaO und Gast-de

Haan aaO: mit Ablauf der gesetzlichen Abgabefrist für die Steuererklärung;

Simon/Vogelberg aaO S. 111: mit Ablauf der gesetzlichen Erklärungsfrist

und dazu einer durchschnittlichen Bearbeitungsdauer beim Finanzamt; OLG

Hamm aaO, Schmitz aaO S. 251: im Hinblick auf regelmäßige Fristverlängerungen

nicht vor 30. September des Jahres, in dem die Steuererklärung abzugeben

gewesen wäre; Dietz in Leise/Dietz/Cratz, Steuerverfehlungen

68. Ergänzungslieferung § 376 AO Rdn. 9: mit Ablauf der gesetzlichen Erklärungsfrist

nur bei dem Finanzamt bekannten Steuerpflichtigen, bei dem

Finanzamt unbekannten Steuerpflichtigen erst mit allgemeinem Abschluß

der Veranlagungsarbeiten; OLG Hamm aaO, Schmitz aaO S. 250, Simon/

Vogelberg aaO S. 93 jeweils unter Hinzurechnung der Postlaufzeit für

die Bekanntgabe).

b) Die abweichenden Auffassungen geben dem Senat keinen Anlaß,

seine bisherige Rechtsprechung aufzugeben, wonach bei Veranlagungssteuern

eine Unterlassungstat im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO erst dann

beendet ist, wenn das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten in

dem betreffenden Bezirk für den maßgeblichen Zeitraum allgemein abgeschlossen

hat (vgl. BGHR AO § 370 Verjährung 3).

aa) Die Beendigung einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen

setzt voraus, daß der steuerliche Verkürzungserfolg eingetreten ist, weil es

sich bei § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO um ein unechtes Unterlassungsdelikt, d. h.

ein Erfolgsdelikt, handelt (vgl. Jähnke in LK aaO § 78a Rdn. 6, 9). Insoweit

– 12 –

besteht kein Unterschied zur Steuerhinterziehung durch aktives Tun (vgl.

Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 78a Rdn. 8; Rudolphi in SK-StGB § 78a

Rdn. 7).

Nach § 370 Abs. 4 Satz 1 AO sind Steuern bereits dann verkürzt,

wenn sie nicht rechtzeitig festgesetzt werden. Die darin liegende Tatvollendung

fällt indes bei Steuerhinterziehung durch Unterlassen nicht ohne weiteres

mit der Tatbeendigung zusammen. Für die Beendigung der Tat und damit

für die Frage der Verjährung kommt es nämlich nicht auf den Zeitpunkt

an, zu dem diese Steuern festgesetzt worden wären, wenn der Steuerpflichtige

rechtzeitig eine Steuererklärung abgegeben hätte, weil ein dauerhafter

Tat-erfolg zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht eingetreten ist. Solange die

Veranlagungsarbeiten des Finanzamts noch im Gange sind, ist stets mit der

Möglichkeit einer Veranlagung durch Schätzungsbescheid zu rechnen. Die

für den Beginn der Verfolgungsverjährung maßgebliche Tatbeendigung ist

vielmehr erst dann gegeben, wenn ein Steuerbescheid ergangen ist oder

wenn feststeht, daß ein solcher Bescheid nicht mehr ergehen wird. Erst

dann liegt eine endgültige Steuerhinterziehung vor und das Tatgeschehen

hat über die eigentliche Tatbestandserfüllung hinaus ihren tatsächlichen Abschluß

gefunden. Die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung besteht auch

nach der Vollendung der Tat uneingeschränkt bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung

(§ 169 ff. AO) fort.

Nach begangener Steuerhinterziehung kann indes an sich die Festsetzungsverjährung

nicht mehr eintreten, weil insoweit eine Ablaufhemmung

bis zur strafrechtlichen Verjährung der Steuerhinterziehung besteht (vgl.

§ 171 Abs. 7 AO). Da es aber nicht vorhersehbar ist, ob nach Abschluß der

allgemeinen Veranlagungsarbeiten des Finanzamts noch irgendwann gegen

den Täter ein Steuerbescheid erlassen wird, ist die Hinterziehung einer Veranlagungssteuer

durch Unterlassen als beendet anzusehen, wenn das zuständige

Finanzamt die Veranlagungsarbeiten in dem betreffenden Bezirk

– 13 –

für den maßgeblichen Zeitraum allgemein abgeschlossen hat (vgl. BGHR

AO § 370 Verjährung 3). Erst dann ist regelmäßig nicht mehr mit einer Veranlagung

zu rechnen.

bb) Eine weitere Vorverlegung der Tatbeendigung nach dem Grundsatz

“in dubio pro reo” auf einen früheren Zeitpunkt kommt nicht in Betracht.

Zwar ist der Grundsatz “im Zweifel für den Angeklagten” grundsätzlich

auch auf die Frage der Verjährung anzuwenden (vgl. BGHSt 18, 274). Bleibt

offen, zu welchem Zeitpunkt der zum Tatbestand gehörige Erfolg eingetreten

ist, so greift der Grundsatz “in dubio pro reo” ein (vgl. Stree/Sternberg-

Lieben in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 78a Rdn. 14). Voraussetzung

hierfür ist aber, daß beim Tatrichter Zweifel über tatsächliche Gegebenheiten

bestehen, die für die Verjährungsfrage von Bedeutung sind. Weiß das

Gericht hingegen, daß kein Steuerbescheid ergangen ist, und kennt es den

Zeitpunkt des Abschlusses der Veranlagungsarbeiten durch das Finanzamt,

sind ihm die für die Tatbeendigung maßgeblichen Tatsachen bekannt; für

die Anwendung des Grundsatzes “im Zweifel für den Angeklagten” bleibt

dann kein Raum.

Der hypothetische Zeitpunkt, zu dem das Finanzamt einen Steuerbescheid

erlassen hätte, wenn der Täter fristgemäß eine Steuererklärung abgegeben

hätte, ist für die Frage der Beendigung ohne Bedeutung, da es insoweit

auf die endgültige Nichtfestsetzung der Steuern ankommt; die bloße

Tatbestandsverwirklichung durch Bewirken einer nicht rechtzeitigen Veranlagung

reicht für die Tatbeendigung nicht aus.

2. Danach ist die Vermögensteuerhinterziehung des Angeklagten bezogen

auf den Hauptveranlagungszeitpunkt 1. Januar 1993 nicht verjährt.

– 14 –

Zurecht hat das Landgericht festgestellt, daß der Lauf der Verjährungsfrist

erst nach dem 1. Juni 1995 begonnen hat, weil zu diesem Zeitpunkt

erst 94,34 Prozent der Veranlagungsarbeiten im maßgeblichen Ver-

15 –

anlagungsbezirk erledigt waren. Die Durchsuchungsanordnung des Amtsgerichts

Vechta vom 28. April 1999 hat damit die Verjährung gemäß § 78c

Abs. 1 Nr. 4 StGB wirksam unterbrochen.

Harms Häger Basdorf

Gerhardt Raum