Internationales-Strafrecht

Der Fall Amarendra Nath Ghosh – Internationales Strafrecht IRG

Bundesverfassungsgericht läßt Auslieferung nach Indien zu

Mit Beschluss vom 5. November 2003 (Az. 2 BvR 1748/03) hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde des durch uns vertretenen vanuatischen Staatsangehörigen Amarendra Nath Ghosh vom 1.10.2003 gegen die neuerliche Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 2. September 2003, mit dem die Zulässigkeit seiner Auslieferung nach Indien aufrecht erhalten wurde, nicht zur Entscheidung angenommen; es hat damit die Auslieferung des Beschwerdeführers damit de facto für zulässig erklärt.
Ghosh war im Dezember 2002 bei einer Zwischenlandung in München von deutschen Behörden festgenommen worden. Die Republik Indien suchte ihn mit einem internationalem Haftbefehl, um gegen ihn in Indien ein Strafverfahren wegen angeblichen Betruges durchzuführen. Ghosh sitzt seitdem in der JVA München Stadelheim in Auslieferungshaft. Gegen seine Auslieferung nach Indien hat er zunächst Beschwerde beim zuständigen Oberlandesgericht München erhoben. Er hat hier (wie auch später beim Bundesverfassungsgericht) seine Befürchtung vorgetragen, er werde, einmal nach Indien ausgeliefert, dort Opfer von Folter und Mißhandlung durch indischen Behörden werden. Hierfür spreche die allgemein bekannte Mißachtung der Menschenrechte in Indien, auch und gerade in den indischen Haftanstalten, die zum Beispiel im Jahresbericht 1998 von amnesty international im „Länderkurzbericht Indien“ vom Februar 2003 ebenfalls von amnesty international sowie in dem Asyllagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8. Mai 2001 dokumentiert worden sind. Auch drohe ihm in Indien im Falle einer Verurteilung wegen Betruges eine unverhältnismäßig harte Strafe, nämlich lebenslange Haft.
Mit Note vom 23. April 2003 hat das Auswärtige Amt gegenüber der indischen Botschaft die Auslieferung von Herrn Ghosh an Indien bewilligt. Das Münchner Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 30.4.2003 die Auslieferung für zulässig erklärt. Gegen diesen Beschluss des OLG hat Ghosh Verfassungsbeschwerde erhoben.
Mit Beschluss vom 24.6.2003 (Az. 2 BvR 685/03) hat das Bundesverfassungsgericht diese Beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Ihr komme keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Insbesondere sei die Verfassungsbeschwerde auch nicht zur Durchsetzung der von Ghosh als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt. Ghosh habe nicht hinreichend dargelegt, dass ihm im Falle seiner Auslieferung nach Indien eine konkrete Gefahr der Folterung durch die indischen Behörden drohe.
Diese Entscheidung ist im Senat streitig gefallen; zwei Verfassungsrichter haben in einem dem Beschluss beigefügten Sondervotum ihre abweichende Meinung niedergelegt. Auch in der Presse ist sie durchweg kritisch kommentiert worden.
Mit Schriftsatz seines neuen Bevollmächtigten, Rechtsanwalt Dr. Knies, vom 27.8.2003 hat Herr Ghosh beim OLG München neuerlich beantragt, seine Auslieferung nach Indien für unzulässig zu erklären und diesen Antrag auf neue Beweismittel gestützt. Er hatte über seinen Anwalt zwischenzeitlich in Indien klare Belege für die ihm dort konkret drohende Gefahr der Folter eingeholt. Ghosh hat insbesondere eidesstattliche Versicherungen seiner Eltern und von Personen aus deren Umgebung vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass diese ihm nahestehenden Personen in Indien bereits erheblichem Druck und Mißhandlungen durch die örtlichen Polizeibehörden ausgesetzt seien. So sei sein herzkranker Vater inhaftiert worden, um seine Bereitschaft nach Indien zurückzukehren zu erzwingen. Ghosh hat vorgetragen und belegt, dass sein Vater unter menschenunwürdigen Bedingungen in Haft gehalten werde und dort Folter und Erniedrigung ausgesetzt sei. Auch Bedienstete und Helfer seiner Familie würden von der Polizei unter üblen Druck gesetzt. Aus all dem sei zwingend der Schluss zu ziehen, dass er – der Beschwerdeführer Ghosh – in Indien eine gleiche, wenn nicht gar schlimmere Behandlung zu erwarten habe.
Mit Beschluss vom 2. September 2003 hat das OLG München diesen Sachvortrag als unerheblich behandelt und die Auslieferung weiterhin für zulässig erklärt.
Gegen diesen neuen oberlandesgerichtlichen Beschluss hat Ghosh am 1.10.2003 eine neuerliche Verfassungsbeschwerde erhoben und diese auf die neuen Tatsachen und Beweismittel gestützt, die nach Ansicht des Beschwerdeführers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die konkrete Gefahr seiner Folterung und menschenunwürdigen Behandlung im Falle seiner Auslieferung nach Indien belegten.
Mit Beschluss vom 5. November 2003 (in der Entscheidung irrtümlich als „5. Oktober 2003“ angegeben) hat das Bundesverfassungsgericht diese zweite Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Welche Gründe das Bundesverfassungsgericht zu dieser Entscheidung bewogen haben, läßt sich nicht einmal andeutungsweise sagen, da das Gericht nicht die geringste Begründung angegeben hat. Dazu gibt ihm das Gesetz (§ 93 d Abs. 1 S. 3 BVerfGG) eine Möglichkeit, wenn auch keine Notwendigkeit.
Nach der begründungslosen Nichtannahme seiner neuerlichen Verfassungsbeschwerde sieht der Beschwerdeführer Ghosh nun mit Angst und Todesfurcht seiner Auslieferung nach Indien entgegen. Dass das oberste deutsche Gericht begründungslose Entscheidungen treffen kann, ist ihm nicht zu vermitteln.

Pressestimmen und Kommentare zum ersten Beschluss des BVerfG Az. 2 BvR 685/03:

Telepolis vom 28.07.2003 „Im Jet zum Streckbett“.

Der Spiegel vom 27.07.2003 „Abschiebung in Folterländer“

Die Welt vom 23.07.2003 „Auslieferung auch in Länder mit Folter möglich“

Berliner Zeitung vom 23.07.2003 „Wie man die Folter aus der Welt schafft“.

TAZ vom 23.07.2003 „Auslieferung trotz drohender Folter“.

Süddeutsche Zeitung vom 22.07.2003 „Die Fakire von Karlsruhe

Tagesschau Meldung vom 22.07.2003 „Deutschland darf an Folterländer ausliefern“

Sonstige Stellungnahmen: Kritische Stellungnahme von amnesty international vom 22.07.2003.

Kritische Stellungnahme von ProAsylBündnis 90 / Die Grünen, Mitteilung vom 23.07.2003 „Paragraphen triumphieren über Tatsachen“‚